Monday, July 26, 2004

CD-Rezension: Unkenschnabel. le Percheron

auch rundgeschickt am 26.7.2004 12:04 Uhr
Unkenschnabel. le Percheron
7 Tracks; 22,31; Fotos; Eigenverlag; http://www.unkenschnabel.de (dahinter kommt aber nichts)



Ich eilte durch das Rudolstädter Festivalgewühl meiner Bande nach, die einem Café entgegen strebte, da schickten am Straßenrand drei Straßenmusiker sich zum Spielen an. Ich ließ meine Bande ziehen und blieb wie festgenagelt stehen, als die drei auf Drehleier, Akkordeon und E-Gitarre einen französischen Tanz spielten. Nach dem letzen Ton, griff ich schnell nach einer CD, zahlte (weswegen ich hier gegen die Regel, nur kostenlose Rezensionsexemplare zu besprechen, verstoße, und hoffe, dass die Musiker, die mir bislang solche geschickt haben, mir deshalb jetzt nicht böse sind), und eilte den Meinen nach und fand sie auch bei Tee und Kuchen.

Die CD ist äußerlich einfachst gestaltet: Ein gebrannter Rohling ohne Beschriftung in einer dünnen Hülle mit schwarzweiß kopiertem Heftlein, dass immerhin zweimal einen Schimmel zeigt. Das Trio ist aus dem Münsterland, fand ich mittlerweile heraus (sie stehen ja auch im Festivalprogramm), und wenn so mancher Drehleierspieler darüber stöhnen mag, schon wieder erklären zu müssen, dass er keine mittelalterliche, sondern zeitgenössische Musik spielt, so spielen diese beides, und das mit einem Drive, mit verschiedenrhythmischem Schnarren, mit mal Flöten, mal Schalmei dabei, mal auch mit lateinischem Gesang, es reißt mich einfach mit. Wenn die weiter üben und die Themen noch etwas vielfältiger variieren, dann hat Blowzabella bald Nachfolger gefunden!

Trackliste:
1. Orientalisches
2. Branle des Chevaux
3. Flötenstück
4. Boulevard Garibaldi
5. An Dro
6. Tetus Floxo
7. D-Stück
8. le Percheron

MAS

CD-Rezension: Woltähr. Trierer Venus + Trier by night

rundgeschickt am 26.7.2004 12:04 Uhr:

Woltähr. Trierer Venus
(1996)
15 Tracks; 62,16; Texte, Infos, Fotos; Op der Lay, CD 60200, L-9650 Esch/Sauer

Woltähr. Trier by night
(2003)
20 Tracks; 72,33; Texte, Infos, Fotos; Op der Lay, CD 60800, L-9650 Esch/Sauer


Meine Frau und ich besichtigten während des Waldeckfestivals unterhalb des Festivalgeländes die Ruine der alten Burg Waldeck, da vernahmen wir aus den Mauern heraus einen harten Saitenklang und einen Gesang. „Meine Heimat ist das Land der Sommersterne“ sang es, „die funkeln mich voll an, damit ich lerne, was manchem Christ verborgen ist“. Ein Sänger stand da im alten Gemäuer, schlug die Leier und formte romantische Verse. Erst etwas später kam ich mit ihm ins Gespräch, und er stellte sich vor: Walter Liederschmitt von der Gruppe Woltähr aus Trier. Bei einer späteren elektronischen Kontaktaufnahme nach einem Blick auf die Homepage der Gruppe frug ich an nach einer Rezensions-CD und Walter bot mir an, mir zwei CDs zum Preis von einer zu schicken, und ich solle was schreiben, wenn ich wolle. Nun das will ich, wenn ich jetzt auch nicht weiß, welche der beiden CDs die bezahlte und welche das Rezensionsexemplar ist. Na egal, ich schreibe über beide was:


http://www.woltaehr.de/abb_cd_trierervenus.jpg
http://www.woltaehr.de/cover_bynight_gr.jpg


http://www.woltaehr.de/

Beide CDs überraschten mich zutiefst: Die Gruppe Wöltähr kreiert eine Musik, die schwieriger als fast alles, was ich sonst so aus dem Folk-Bereich höre, in eine Schublade zu stecken ist. Wie wäre es mit der Schublade: moselfränkische und hochdeutsche, keltenromantische, heimatverliebte, obrigkeits- und kirchenkritische, frankophile, folk-jazz-rockige Chansons? Das trifft es zum Teil, aber lasst uns einen Blick auf ein paar Details werfen.

Die meisten Lieder sind in moselfränkischem Dialekt gesungen, jener westmitteldeutschen Mundart, die in verschiedenen Variationen ungefähr vom Siegerland bis Luxemburg und von Sieg und Ahr bis Lahn und Nahe reicht. Als Lahnsteiner bin ich ja selber gerade noch so in diesem Dialektbereich aufgewachsen (allerdings han mir do schon e bissje ne hessische Inschlach, aach wenn mir noch nit babbele sondern schwätze), und doch ist mir die moselfränkische Mundartszene weit weniger vertraut als die ripuarische, also rheinische im Sinne von kölsche, nordeifeler usw.. So klingt es mir teils heimatlich-vertraut, teils aber auch fremd, z.B.:

„Hei stiehn die, die ömmer hei stiehn
on nochgaor nöt esu flott haam giehn,
wu deWeinstand obbm Maort scho lang zu hat’t
ös hihr Aort, dat se nor maol wie obb grußerFaohrt
aweil dorch de Naocht hei giehn …“
(aus „Trier by night“)

Beiden CD sind sämtliche Texte beigelegt, bei „Trierer Venus“ auch mit hochdeutscher Übersetzung. In mir erwuchs jedenfalls das Interesse, mich ein wenig mit den Mundarten zu beschäftigen, und wer sich auch dafür interessiert, kann ja mal diesen Links folgen:
http://members.tripod.com/~radde/Mundarten.html
http://de.wikipedia.org/wiki/Fränkische_Sprache
http://de.wikipedia.org/wiki/Lautverschiebung
http://de.wikipedia.org/wiki/Mittelfränkisch
http://de.wikipedia.org/wiki/Moselfränkisch
http://www.suertenich.com/html/moselfr.html
http://de.wikipedia.org/wiki/Ripuarisch


Einige Lieder sind auf hochdeutsch, ein paar wenige auf englisch, französisch oder gar griechisch vorgetragen. In den Texten wird immer wieder Kritik an der Obrigkeit, sei sie kommunal, staatlich oder kirchlich, laut, Querdenker aus der Trierer Geschichte werden gewürdigt, Sympathie mit unterdrückten Völkern und Bevölkerungsgruppen, seien es die Kelten, die Hexen oder die Indianer, kommt zum Vorschein. Viele Texte wirken aber auch traumhaft surrealisitsch und/oder enthalten Biografisches, das in seinen Zusammenhängen dem Uneingeweihten nicht so recht verständlich ist.


Die Kirchenkritik, zum Beispiel an dem Wallfahrtskult um den Heiligen Rock, kann aber bisweilen auch Töne annehmen, die eventuell nicht nur scheinheiligen Schabernack anprangern, sondern, wie eine Freundin aus unserer interreligiösen Dialoggruppe, der ich von dem Lied erzählte, es einschätzte, auch religiöse Gefühle verletzen kann, wenn es zum Beispiel heißt:

„De Jesus waor die Woch öm Duhm
o' wollt nao'm Heilije Rock siehn
Dao sieht n dn O.B.
voll öm Ornat vir dr Kabell stiehn ‚
Wat ös dat hei fier e Bahai?
Seid dihr dann allegaor' doll?
Mensch, schröer kann't gaor nömmi gänn,
dihr krit namma all dn Aorsch voll!‘“
(aus „Trierer Venus“)

Die Trierer Venus ist übrigens ein Torso jener römischen Göttin, der von christlichen Pilgern bis zur Unkenntlichkeit gesteinigt wurde.

Immer wieder wird auf die alten Treverer Bezug genommen, jenem keltischen Stamm der zu römischen Zeiten rund um Trier siedelte und nach denen die Stadt benannt ist. Walter Liederschmitt ist auch Heimatforscher und Stadtführer, und weiß teils historisch-sachlich, teils romantisch-verklärt von deren Kultur und Religion zu erzählen und zu singen und auch die ethnischen Verwandten in der Bretagne und auf den britischen Inseln miteinzubeziehen.

Die Autoren der Texte sind neben Walter Liederschmitt Rudolf Löwenstein, Karl Marx, Heinrich Heine und andere.

Was die Musik selber anbelangt, so ist sie nicht minder vielseitig: die Melodien klingen mal wie französische Chansons (Walter liebt Georges Brassens), mal sind es traditionelle deutsche Volksliedmelodien, vieles klingt jazzig, nicht weniges rockig, und oft klingt es schräg, ähnlich wie die Songs von Bob Dylan, eines anderen Idols von Walter, und dass sie einen Reel spielen können, wird auch gezeigt.

Ja, sie spielen, was mich daran erinnert, die Bandmitglieder zu nennen: Außer Walter Liederschmitt wirken auf „Trierer Venus“ noch Andreas Sittmann (Gesang, Gitarre), Thomas Kramer (Violine, Chor), Ulrike Jochum (Kontrabaß), Volker Dellwo (Flöten), sowie 12 weitere Gast-Musiker(innen) auf diversen Instrumenten mit, auf „Trier by night“ sind es Uwe Heil (Gitarre, Gesang und Hintergrundgesang), Carsten Söns (Bass, Hintergrundgesang), Carola Heiner (Altsaxophon) und Uli Hilsamer (Trommeln). Es herrscht also eine hohe Fluktuation in der Gruppe, da der Frontmann aber der selbe bleibt, ist Kontinuität gewahrt.

Was mit indes noch negativ aufstößt ist die Bitburger-Werbung auf der Rückseite von „Trier by night“. Ist es wirklich notwendig, für diese Brauerei mit ihren über 4 Millionen Hektoliter Jahresausstoß und ihr „meistgezapftes Bier Deutschlands“ auf dieser ansonsten so querdenkerischen CD Werbung zu machen? Was ich von Bitburger halte, kann man hier
http://www.biertest-online.de/cgi-bin/show/ebs.pl?Bier=Bitburger+Premium+Pils
unter MAS nachlesen. Und ich könnte noch einiges mehr erzählen.

Welche der beiden CDs ich eher empfehlen würde, ist schwer zu sagen, eventuell doch „Trierer Venus“, denn auf der befindet sich das Heimatlied:

„Meine Heimat ist das Land der Sommersterne
Die munkeln untereinander, wer wohl gerne
mit wem noch mehr verbunden wär‘.“

MAS

PS: Walter Liederschmitt versicherte mir per E-Mail, dass er nicht von Bitburger gesponsert werde, dass er deren Bier aber nunmal gerne trinke und deshalb die Fotomontage mit der Bitburger-Werbung über der Tür seiner Stammkneipe, die aber Karlsberg ausschenke, gemacht habe.