Sunday, May 23, 2004

CD-Rezension: Johannes Mayr. blue bellow

Johannes Mayr. blue bellow
(rundgeschickt am So 23.05.2004 19:36)

Ojo Music, Breitscheid, 12 Tracks mit zusammen 54,33 Minuten. http://www.johannes-mayr.de


http://www.johannes-mayr.de/bilder/bluebellowcd_big.jpg

„Die schönsten Lieder haben immer die traurigsten Texte“, sagte Johannes Mayr mal bei einem Auftritt im Bonner Folktreff, als er das Lied „Annan Waters“ ankündigte. Auch wenn auf dieser CD nur zwei Lieder und ansonsten Instrumentalstücke vertreten sind, drückt dieser Satz meines Erachtens doch die Stimmung der CD sehr gut aus. Wer Johannes nur als Mitglied von Lynch the Box kennt, erwartet eher eine andere Musik, auch wer ihn von Hölderlin Express kennt, wird leicht auf die falsche Fährte geführt, eher hat schon der den richtigen Vorgeschmack, wer ihn mit Rolling Drones gehört hat, ganz bestimmt aber, wer seine zwei Konzerte beim Bonner Folktreff besucht hat.

Johannes hat schon eine lange musikalische Laufbahn hinter sich. Gebürtiger Bayer, genauer Augsburger, lange regelmäßiger Mitspieler bei der Boulanger Session in Tübingen, jetzt lebend im Westerwald, hat er nun seine erste Solo-CD veröffentlicht, in welcher er sich trotz seiner vielfältigen Instrumentbeherrschung auf das Akkordeon beschränkt, abgesehen von zwei Liedern, in welchen er auch seine Stimme benutzt. So ganz solo ist er aber nicht, denn zum Einen begleitet ihn seine Frau Ingrid Mayr-Feilke (Drehleier (übrigens in Stück 6 „Endless 5“, nicht in Stück 9 „Danse pour les leons“, wie im Begleitheft genannt), Low Whistle und Blockflöte), zum Anderen Olaf Sickmann (akustische und elektrische Gitarren) und Gudrun Walther (Geige).

Acht der zwölf Stücke sind Eigenkompositionen von Johannes, zwei von Olaf. Von den beiden Liedern ist „Wassermann Wenzel“ von Cesar Bresgen aus dessen Schuloper „Die Stadthüpfer“ von 1985 und „Annan Waters“ traditionell englisch. Beide Lieder handeln von unglücklichen Liebesbeziehungen, das erste erinnert zudem an romantische Wassermannballaden, und auch die Instrumentalstücke strahlen nicht unbedingt eine traurige, aber eine ernste Stimmung aus, und doch scheinen die meisten tanzbar zu sein (ich bin kaum Tänzer, deswegen das „scheint“). Ich hatte anfangs etwas Schwierigkeiten, hineinzukommen, aber je öfter ich die CD höre, desto besser gefällt sie mir. Ich bin eher ein visueller, als ein auditiver Typ, und mir kommen beim Hören von Musik oft Landschaftsbilder vor das innere Auge, wobei es bei den meisten Melodien dieser CD norddeutsche oder allgemeiner Landschaften des Raumes südlich von Nord- und Ostsee sind, irgendwo zwischen Bretagne und Estland, geprägt von einer endlosen, grünen Weite, durchzogen von Flüssen und Kanälen, Alleen und kleinen Waldungen in riesigen Feldern und Wiesen. Gleichwohl hörte ich die CD auch letztens sehr gerne bei einer Fahrt durch das weit weniger flache Rheinhessen. Der bayerisch-französisch anmutende „Zwiebacker“ ist übrigens schon auf der 1998er Deutscher Folk-Förderpreis-CD drauf, dort allerdings eine Minute kürzer.

Ich möchte „blue bellow“ all denen ans Herz legen, die sich die Zeit nehmen können, sie sich mehrmals anzuhören, um Ihr auf die Spur zu kommen, und die sich gerne auf etwas melancholischere und dabei doch spannungsreiche Töne einlassen wollen. Sie ist irgendwie so, wie Andreas Rogge mir mal den Menschentyp seiner mecklenburgischen Heimat beschrieb: Er hält sich Fremden gegenüber eher zurück, aber wenn er mal Freundschaft geschlossen hat, dann ist das ernst gemeint. Und dann kann man eben auch einer zwanzigjährigen Löwin ein Geburtstagsständchen komponieren und beim Laubrechen im Herbst einen Walzer tanzen.

MAS