Sunday, November 21, 2004

Demonstrationsrezension: Gedanken zur DITIB-Antiterrorismus-Demonstration in Köln am 21.11.2004

Gedanken zur DITIB-Antiterrorismus-Demonstration in Köln am 21.11.2004


http://www.faz.net/imagecache/{D35B442E-3772-4FE4-936E-5127EDD8BFF5}picture.jpeg


http://www.faz.net/imagecache/{3260C9F1-B9BA-4CBE-8CDE-CD1A8A266D69}picture.jpeg


http://www.faz.net/imagecache/{ED3831DF-A03F-4F89-8032-CD6D7B68CDCE}picture.jpeg





(Das ist jetzt zwar keine Musikrezension, aber vielleicht interessiert es ja doch einige Leser(innen)).

Die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion DITIB, wobei diese Anstalt eine Abteilung des türkischen Innenministerium ist, rief zu einer Demonstration gegen den Missbrauch des Islam durch die Terroristen auf. Schon lange fordern sowohl die nichtmuslimische Öffentlichkeit als auch muslimische Intellektuelle solche Demonstrationen, die sowohl den Terroristen und deren Sympathisanten als auch den Nichtmuslimen zeigen sollen, dass Terroristen nicht das Recht zugesprochen bekommen, ihren Terror im Namen des Islam auszuüben. Viel zu viele Nichtmuslime verdächtigen die Muslime generell, den Terrorismus gut zu heißen und zu unterstützen. Und von muslimischer Seite werden diese Anschuldigungen meistens zwar vehement zurück gewiesen, aber es fehlte bisher an Kundgebungen, die den Anti-Bush Demos an Größe gleich kam, sondern es blieb bei Pressemitteilungen und anderen schriftlichen und mündlichen Stellungnahmen, die einfach nicht genug Leute erreichten.

Diese Demonstration nun sollte das ändern. Ca. 25 000 Teilnehmer, zumeist Türken, aber auch Deutsche (z.B. meine Frau und ich) füllten den Rudolfplatz in Köln und lauschten den Reden der Damen und Herren auf der Tribüne, darunter der Kölner OB, die Innenminister von NRW und Bayern, Claudia Roth und Guido Westerwelle. Der Tenor der Reden war immer wieder: Religion und Gewalt schlössen einander aus, ein Terrorist sei kein gläubiger Muslim und ein gläubiger Muslim sei kein Terrorist (was auch auf einigen Bandarolen zu lesen war), ein Moscheen beschädigender Randalierer sei kein anständiger Deutscher (oder Niederländer), Religionen hätten die Aufgabe, miteinander im Frieden zu leben und dem Frieden auf der Welt zu dienen, Deutschland sei ein multikulturelles Land auf demokratischer und rechtsstaatlicher Grundlage, die Vielfalt der Kulturen und Religionen stelle einen Reichtum dar, jeder Mensch habe das Recht, seine kulturelle und religiöse Identität selbst zu bestimmen und zu leben, aber um sich miteinander verständigen zu können und in der deutschen Gesellschaft die gleichen politischen und beruflichen Chancen zu haben, müssten auch alle Deutsch beherrschen, und die Predigten in den Moscheen dürften in welcher Sprache auch immer gehalten werden, nur dürften ihre Inhalte nicht dem Gesetz und der Menschenwürde widersprechen, da seien auch die muslimischen Moscheebesucher gefordert, drauf zu achten und Hasspredigten nicht zu dulden. Ein Dichter meinte, die Unterschiede seien gar nicht so wichtig, sondern „wichtiger ist, dass wir Freunde sind“.

Das waren alles schöne und abhängig von der jeweiligen Wortdefinition richtige Reden, die die Politiker da sehr laut über dem Rudolfplatz ertönen ließen, dass mir ihre Stimmbänder leid taten. Die Teilnehmer brachen immer wieder in Beifall aus, außer dass sie Herrn Beckstein zunächst ausbuhten, wonach sie seinen Sätzen aber doch wieder zustimmten. Ich bemerkte aber auch, dass der Beifall da lauter war, wo die türkische Kultur und der Islam gelobt wurde oder wo von der deutschen Mehrheitsgesellschaft Integrationsleistungen verlangt wurden, als dort, wo von den Türken diesbezüglich mehr Engagement verlangt wurde. Die Redner verstanden es auch gut, bei den türkischen Teilnehmern unbeliebtere Forderungen in der ersten Hälfte eines Satzes zu platzieren und die beliebteren in der zweiten, so dass ihnen der Beifall am Ende des Satzes sicher war. Nur einmal war es umgekehrt: Ich weiß nicht, ob es in Frau Roths Rede war, jedenfalls betonte eine Rednerin das Recht der Musliminnen, ein Kopftuch zu tragen, was viel Beifall mit sich brachte, worauf sie das einbettete in das generelle Selbstbestimmungsrecht der Frauen, was weniger Beifall erntete, worauf sie dann noch was bei den anwesenden Männern beliebteres nach schob. Nun, man darf von Tevje (vgl. die Gedanken zu „Anatevka“) nicht zu viel auf einmal erwarten.

Was mein oben angedeutetes Hinterfragen der Wortdefinitionen angeht, möchte ich nur sagen, dass religionswissenschaftlich gesehen zwischen „Religion“ und „Verbrechen“ kein Widerspruch besteht, sondern die beiden Worte ganz verschiedene Bereiche betreffen, denn sehr wohl gibt es religiöse Verbrecher, denn Religion schützt nicht per se vor Illegalität. Auch kann man den Terroristen nicht einfach so ihren Glauben absprechen, nur muss man sehen, dass ihr Glaube und der der meisten Muslime sich sehr weit voneinander unterscheiden, sie konstruieren Islam einfach sehr unterschiedlich. Nur in der Annahme, dass beide den gleichen Islam meinen, kann man von einem richtigen und einem falschen Verständnis reden. Für uns wichtig ist aber, dass sich hier Muslime, deren Islamverständnis einen Islam konstruiert, der unserem Grundgesetz nicht widerspricht, sondern es vielleicht sogar stützt, sich von solchen Muslimen distanzieren, deren Islamverständnis einen fanatischen und gewaltsamen Islam konstruiert. Beide Seiten beanspruchen für sich die Definitionshoheit. Die Grenzen von gut und böse im Sinne einer Ethik, die Gewaltlosigkeit als hohen Wert anerkennt, gehen hier also wie so oft mitten durch eine Gemeinschaft hindurch, und insofern bei beiden Seiten dieser Gemeinschaftssinn als hoher Wert gesehen wird, kann die Distanzierung der friedlichen Mehrheit von der gewalttätigen Minderheit diese durch einen normativen Entzug dieser Gemeinschaft vielleicht zum Umdenken zwingen. Und ob eine multikulturelle Vielfalt eine Bereicherung, eine Bedrohung oder noch was anderes ist, hängt viel mehr von dem Menschen ab, auf den diese Vielfalt einwirkt, als von der Vielfalt selber. Es gibt Menschen, die suchen das Neue oder Fremde, und es gibt Menschen, die meiden es. Es gibt Menschen, die empfinden die Fladenbrot backenden, sehr verhüllend gekleideten türkischen Nachbarn im Garten als einen schönen Anblick, und es gibt welche, die fühlen sich dadurch in ihrer Freiheit, sich wie gewohnt in der Badehose bzw. Bikini in den Garten zu legen, eingeengt, weil sie meinen, in den Augen der neuen Nachbarn als unmoralisch zu gelten. Wichtig ist es für das friedliche Miteinander nicht nur, dass wir Deutschen die Migranten, sondern auch dass die Migranten uns Deutsche als Bereicherung empfinden. Es ist auf beiden Seiten noch viel an gegenseitigem Aufeinanderzugehen zu leisten, und den Grad an selbstkritischer Reflexion gilt es auf beiden Seiten zu steigern.

Ein Meer von türkischen, deutschen und europäischen Flaggen wehte auf dem Platz, und ihre Farben leuchteten fröhlich in der Kölner Herbstsonne. Die Medien berichteten vielfach und wohlwollend über diese Demonstration. Der Bemühung der Türkei, in die EU aufgenommen zu werden, dürfte sie sicher sehr genützt haben. Ich hoffe, sie hat vor allem dem friedlichen Miteinander von Muslimen und Nichtmuslimen in unserer Gesellschaft genützt und noch dringlicher, dass sie Sympathisanten des Terrorismus beim Umdenken hilft, ähnlich wie die Demonstrationen gegen den ETA-Terror in Spanien und im Baskenland.

Viele Muslime sagen, sie empfänden es als Demütigung, sich ständig für den Terror den sie weder begehen noch gut heißen, rechtfertigen zu müssen, nur weil die Terroristen auch Muslime seien. Ich denke aber, es geht nicht um eine Rechtfertigung, sondern um eine Distanzierung. Herr Westerwelle verglich es damit, dass er sich als Christ auch von dem in Nordirland von Christen begangenen Terror distanziere und ich vergleiche es gerne damit, dass ich mich als Deutscher vom Rechtsradikalismus distanziere. So mancher Erdenbürger nennt Deutschland und Hitler ja noch in einem Atemzug, und ich muss ihm erklären, dass ich damit nichts zu tun habe und mich dafür schäme, was da von Deutschen getan wurde und zum Teil noch getan wird. Das ist dann weder eine Rechtfertigung noch eine Entschuldigung, sondern nur eine Distanzierung. Sicher nervt mich das, wenn ich das zu oft betonen muss, aber es ist notwendig den Menschen gegenüber, die nicht differenziert genug denken, sondern alle Mitglieder eines Volker oder einer Religion über einen Kamm scheren oder in einen Sack stecken und dann drauf hauen. Dieses undifferenzierte Denken zu bekämpfen ist eine viel schwierigere Angelegenheit, und so bleiben immer wieder geforderte Distanzierungen notwendig, auch wenn sie nerven. Ich denke, diese Leitung kann man von unseren muslimischen Mitmenschen genau so erwarten, wie von uns Deutschen. Und wer ein deutscher Muslim ist, muss sich evtl. sowohl vom islamistischen Terrorismus als auch vom deutschen Rechtsradikalismus distanzieren, je nach dem, wer ihn gerade wessen anschuldigt.
Vgl. auch: http://www.faz.net/s/RubFC06D389EE76479E9E76425072B196C3/Doc~EB04911846EB546AFB4A48B5B62E7BE14~ATpl~Ecommon~Scontent.html

MAS