Monday, November 14, 2005

CD-Rezension: Deitsch. Königskinder.

CD-Rezension: Deitsch. Königskinder.

(rough trade) 2005, 14 Tracks, 55,47 Minuten mit Texten, Infos und Fotos




Das schrieb ich ganz spontan am 31.10.205 im folkigen Rundbrief:

„Hi Folks,

eben war die neue Klingende Post im Briefkasten mit 22 Stücken aus 22 CDs von Old Songs New Songs in Bochum, darunter eines, auf dass ich in dieser Runde aufmerksam machen muss. Jürgen Treyz und Gudrun Walter, bekannt als Musiker bei Adaro, La Marmotte bzw. Lynch the Box, More Maids u.a. haben sich zu dem Duo Deitsch zusammengefunden und auf der CD "Königskinder" alte deutsche Lieder eingespielt und -gesungen, und zwar in einer solchen Qualität (zumindest nach dem Hörbeispiel der Klingen Post aus zu urteilen), dass mir Tränen der Begeisterung kamen. So zeigt es sich, dass die beiden viele Jahre die irische und französische Musik geübt haben, um nicht nur den Gesang, sondern auch die Instrumentalpartien mitreißend zu spielen, was ja bei Deutschfolkbands oft zu wünschen übrig lässt. Ich kann die CD nicht rezensieren, da ich sie nicht selbst habe, aber lest mal die Rezi von Klaus Sahm und Erich Schmeckenbecher unter:
http://osns.sam-ip.com/detail2.asp?Produkt_ID=453373192.

Wie ich unter http://www.deitsch.de lese, ist es nicht nur ein Duo, sondern auch dabei sind:
Johannes Uhlmann: diatonisches Akkordeon
Henrik Mumm: Fretless-Bass, Akustik-Bass, Kontrabass, Cello
Herbert Wachter: Perkussion, Schlagzeug
Christoph Pelgen: Dudelsäcke (Schäferpfeife, Hümmelchen)
Andreas Uhlmann: Posaune
Konstanze Kulinsky: Satzgesang
Hans Ehrenpreis: Satzgesang

Konstanzes Drehleier ist also leider nicht dabei.“
[Ich habe gegenüber dem Original ein paar Tippfehler korrigiert und den Klaus Sahm eingefügt.]

Und nun, da mir die CD vorliegt, die zwei Tage später kam, ergänze ich zunächst die Instrumente der beiden Hauptprotagonisten:
Gudrun Walter: Gesang, Violine, Viola, Satzgesang
Jürgen Treyz: Akustik-Gitarre, 12-saitige Gitarre, Dobro, Telecaster, Mandoline, Mandola, Satzgesang

Potzblitz, was ist denn da der Esslinger Musikschmiede entstiegen? Eine Stimme wie Nena, ein Bandsound wie Altan, eine Liedauswahl wie bei Garmana oder Triakl, nur eben keine Neue Deutsche Welle und auch keine Irish Folk Music oder Svensk Folkmusik, sondern deutsche Volksmusik, und zwar Lieder, die auch meine Schwiegermutter kennt und mir am Telefon vorsingt, als ich ihr von der CD erzähle. Na zumindest das Titellied „Es waren zwei Königskinder“ singt sie, aber schon geht die Diskussion los: War es nun eine falsche Norne, die die Kerzen ausblies, so wie im Text der CD, oder vielmehr eine falsche Nonne, wie meine Schwiegermutter meint? Ich recherchiere im Internet und finde eine Version von „Deutsche Volkslieder“ von 1807, in der die Norne bestätigt ist, aber auch eine lateinische Version, in der eine monacha falsa, also eine Nonne die Übeltäterin ist, desgleichen in der plattdütschen Version im „Hausbuch deutscher Balladen“, das ich neulich beim Bücherbasar der ULB Bonn erstand, in der es eine Nunne ist. Lassen wir die Frage offen, ob es nun eine germanische Schicksalsgöttin oder eine christliche Ordensfrau war, zumal die Herkunft der Geschichte im antiken Griechenland liegen soll, und schauen, was es sonst noch gibt:

Gesungene Lieder und rein instrumental gespielte Melodien, zumeist Tänze, wechseln einander ab, d.h. Lieder sind es etwas mehr, nämlich acht der 14 Stücke. Gudrun singt hochdeutsch, eines ist von Jürgen auf Schwäbisch. Die Texte, in denen es nicht nur um besagte Königkinder, sondern auch um ein um ihren untreuen Geliebten trauerndes Mädchen, einen Wassermann (ein sehr beliebtes Motiv deutscher Balladen, nicht nur bei Achim Reichel und Johannes Mayr), ein Mädchen das Brombeeren pflückt und dabei schwanger wird, ein anderes Mädchen, das lieber einem jungen Reiter folgt als bei der Mutter zubleiben, einen heimgekehrten Mann, der seine wartende Geliebte hart auf ihre Treue prüft, die Schönheit der Maienzeit und einen schwäbischen Schumacherburschen geht, sind alle traditionell und auch die Liedmelodien, abgesehen von „Der Lindenbaum“, und während die tradierten Melodien recht einfach sind, wie man sie so kennt, werden sie von komplexen und rhythmischen Instrumentaleinlagen begleitet, komplex vor allem dahin gehend, als sie sich dem jeweiligen Textinhalt anpassen, bei dramatischen Stellen an Intensität zunehmen oder ihre Stimmung je nach inhaltlicher Wendung ändern. Mit einfachen Begleitakkorden hat das nichts zu tun, sondern ist Kunst in Hochform. Man merkt den Musikerinnen und Musikern eine langjährige intensive Beschäftigung mit irischer, französischer, balkanischer und anderer Musik an, wobei sich alle diese Einflüsse harmonisch der deutschen Leitlinie anpassen und sie bereichern, ohne exotisch oder zu experimentell zu wirken. Es ist eher so, wie auch irische Musiker sehr viel Fremdes importieren und verarbeiten und zu Eigenem machen. Das gilt auch für die Instumentals: Zwiefacher, Schottische, Rheinländer, Polkas (na, die eine spontan im Studio geschriebene Polka könnte aus Kerry stammen) und anderes (ich kann nicht alles genau identifizieren, da fehlt mir noch etwas Sachverstand), auch mal ein ganz ruhiges Stück mit oben aufgelisteten Instrumenten, wobei Christophs Sackpfeifen etwas sehr zurückhaltend sind, aber Geige und diatonisches Akkordeon verbreiten eine so gute Laune, die bei der doch sehr zu Herzen gehenden Dramatik der Balladen sehr gut tut, und dabei ist der Klang so voll, wie eben bei Altan und anderen der irischen Spitzengruppen.

Fazit: Auf so eine CD habe ich lange gewartet. Endlich widmen sich mal wieder Spitzenmusiker(innen) auch außerhalb der Mundart-, Kabarett- und Bordunszene der deutschen Volksmusiktradition und katapultieren sie ins 21. Jahrhundert, so dass „wir“ endlich mal wieder auf einer Ebene mit unseren europäischen Freunden stehen. Ich setze das „wir“ in Anführungszeichen, weil ich von Kollektividentitäten wie bei „Wir sind Papst“ nicht sehr viel halte, aber etwas Wir-Gefühl ist doch dabei, nicht nur, weil ich die Texte verstehe. Jedenfalls haben wir wieder etwas zum Vorzeigen, wenn wir woanders zu Gast sind: Guck mal, bei uns gibt es auch sehr gute Volksmusik, jenseits von Tümelei, Museum und Kindergarten. Und da sie auch meine Schwiegermutter mit 74 anspricht – wobei sie auch Jazz und Soul hört und El Hussein Kili – könnte diese Musik die Generationen wieder verbinden, und vielleicht auch die Folk- und die volkstümliche Szene, es sei denn letzterer ist diese Musik zu ernst, zu tief, zu bewegend. Wenn sie Schule macht, könnte sie auf jeden Fall eine Neue Deutsche Folkwelle in Gang bringen. Behalten wir es im Ohr!

Interessant zu wissen wäre es, wie sich Deitsch life anhört, nur als Duo, oder ob nicht doch eine größere Band daraus wird, damit der schöne und volle Bandsound erhalten bleibt. Im Folker! 1/06 wird ein Artikel über Deitsch von Uli Joosten erscheinen. Darauf bin ich sehr gespannt. Im Übrigen hat der Folker! die Entstehung der CD unterstützt.

http://www.deitsch.de
http://osns.sam-ip.com/detail2.asp?Produkt_ID=453373192

MAS