Rheinpiraten und Liederjan im Bungertshof in Königswinter-Oberdollendorf am 30.9.2005
Mario Dompke, einer der Musiker, die auch beim Bonner Folktreff aufgetreten waren, kontaktierte den Wirt des Bungertshofes in Oberdollendorf mit der Beschwerde, dass im Musikangebot des Bungertshofes zu wenig deutsche Folkmusik angeboten werde, worauf dieser ihm anbot, ein solches Angebot doch zusammen zu organisieren, und so kam es, dass am 30.9.2005 Liederjan daselbst auftrat.
Der Name „Liederjan“ klang für mich wie „Zupfgeigenhansel“, „Folkländer/Bierfiedler“, „Fiedel Michel“ und andere Vertreter des deutschen Folkrevivals der 1970er, die mir allesamt weniger bekannt und sozusagen exotischer sind, als Namen wie „Dubliners“, „Planxty“, „Bothy Band“, „Chieftains“ und andere irische Folkrevivalisten, die auch stets Vorbilder und Ansporner ihrer deutschen Gesinnungsgenossen waren.
Als Vorgruppe für Liederjan war nun aber zunächst Mario Dompke mit seinen Rheinpiraten an der Reihe. Es waren derer drei, nämlich außer Mario mit Gitarre und Gesang noch Thomas Bandholz ebenso singend und Gitarre spielend und Tilman Schmidt, der mit seiner Geige das Ganze noch untermalte. Die sangen fünf Lieder aus den Jahrhunderten zwischen Oswald von Wolkenstein und Johann Wolfgang von Goethe, allesamt aber in heutiges Neuhochdeutsch übertragen, und im Großen und Ganzen für Piraten, wie ich sie mir vorstelle, eher untypische ruhige Balladen, Lamentationen und Liebeslieder, wonach sie sich bescheiden ins Publikum zurück zogen, um Liederjan die Bühne zu überlassen.
Dieses norddeutsche Trio zog dann mit viel Tamtam und brummender Tuba, die eher bayerisch als norddeutsch anmutete und mich an die Biermösl Blosn erinnerte, durch den Saal und begann sein Konzert mit der Aufforderung, die Zuhörer mögen sich zunächst einmal vorstellen. Da dieser Aufforderung niemand folgte, stellten sich ganz spontan die drei Musiker dem Publikum vor und zwar in Form kleiner Anekdoten, ähnlich, wie Rabih Abou Khalil seine Combo immer vorstellt. So soll Klaus Irmscher mal Nähmaschinenmonteur, dann Arbeitsamtangestellter und zuletzt Kammerjäger gewesen sein, Jörg Ermischs Berufziel soll es gewesen sein, ein Bestattungsunternehmer zu werden, wie der, der in den Lucky Luke Comics immer wieder auftaucht, nur dass er nun statt der Särge lieber Instrumente baut, und Hanne Balzer soll eine Eskimorolle mit Tuba beherrschen. Während Jörg zum 30 Jahre alten Urgestein der Band gehört, sprang Hanna für den 2003 verstorbenen Anselm Noffke ein, und Klaus ist erst im 31. Jahr, also 2005, dazu gekommen.
Um nun das Konzert sinnbewahrend aber kurz darzustellen, sei gesagt, dass sie außer ihren angeborenen Stimmbändern eine ganze Reihe unterschiedlicher Instrumente mitgebracht haben, natürlich Gitarren, aber auch Ziehharmonikas – darunter eine zwei Meter lange, die man zu zweit spielen muss – die schon erwähnte Tuba – die übrigens von Hanne bedient wurde – Keyboard, Tin- und Lowwhistle, Klarinette und noch mehr. Darauf spielten sie Melodien die ihre Heimat hier und da in der deutschen Musikgeschichte haben, aber auch 7/8taktig Balkanisches und irisch Verwurzeltes war darunter. Ja, das Irische war tatsächlich mit dabei, nicht nur in dem Lied, in dem die Band nostalgisch auf die Zeit zurück blickte, als sie von 1969 bis 1975 als „Tramps und Hawkers“ noch von der grünen Insel schwärmend eine Irish Folk Band war, sondern z.B. dem auf oberlausitzischem Dialekt vorgetragenen Lied über einen Oberlausitzer, der in einem Hamburger Baumarkt vergeblich nach Spackschrauben sucht, und dessen Melodie, wenn ich sie richtig erkannt habe, die von „Paddy’s not at work today“ war. Neben dem Oberlausitzischen – dessen R ähnlich gerollt wird wie das des Siegerländischen – beherrschte vor allem Klaus diverse Dialekte, und dieser sang auch das einzige plattdütsche Lied über die Sehnsucht, mit einem Schiff dahin zu fahren, wo die Papageien fliegen und die Mangos wachsen. Ansonsten gab es z.B. eine Mordgeschichte an einer Havelschleuse, eine Parodie auf den rheinischen Karneval, eine auf das Restaurieren alter Wehrmachtsfahrzeuge, eine auf den Schlankheitswahn und allerlei Parodistisches sonst noch, das die Grenzen zum Kabaret auch mal überschritt, ähnlich wie bei den Biermösl Blosn aber nicht so direkt politisch und nicht so regionalthematisch. Es gab noch vieles mehr, es wurde viel gelacht, und was die drei Nordlichter musikalisch drauf haben ging neben all den lustigen Texten und Ansagen fast unter, aber ganz am Schluss zum Beispiel – wirklich nur zum Beispiel! – zeigten sie ihr Können in einem mehrstimmigen Gesang im Stile des Frühbarock – meines Wissens war es die Melodie von „Salzbug ich muss dich lassen“. Da ging der humorvolle neue Text fast neben der Schönheit des Gesangs unter. Das passte zu den Kronleuchtern an der Decke und den Kerzen auf den Tischen! Ja, auch das ist Folk oder Volksmusik, die man ja nicht so bierernst nehmen muss.
Apropos Bier: Im Bungertshof gibt es Jever Dark. Aber noch erwähnenswerter ist das Sortiment an Weinen die gerade um die Ecke bei Broehl-Blöser wachsen, am nördlichsten Mittelrheinweinberg, das muss so am Rande des Weinbaugebietes ja doch auch mal besonders erwähnt werden. Und obwohl es nicht ein Saal ist, sondern drei Räume mit breiten Durchgängen dazwischen, kann man auch vom hintersten Raum die Bühne ganz vorne gut sehen und dank der Lautsprecher in jedem Raum hört man alles gut, obwohl die Architektur nicht so akustisch ist wie z.B. im Feuerschlösschen mit seinem Gewölbe. Ich kann schon alleine wegen dieser sehr angenehmen Atmosphäre diesen Veranstaltungsort auch für andere Konzerte nur weitrer empfehlen. Z.B. wird im Dezember Le Clou dort spielen.
Interessant in Bezug auf Liederjan und auf Show of Hands (15.9.2005 im Feuerschlösschen) finde ich interessant, dass beide Bands mit Irish Folk anfingen, von dort her beeinflusst aber die eigenen ethnischen und regionalen Musiktraditionen wieder entdecken und beleben wollten. Die irische Musik bleibt als Bezugsgröße auch für die, die sich dann von ihr abgewandt haben, auch für Mario Dompke, der meint, man höre überall irische, aber fast nirgends deutsche Folkmusik (abgesehen vom Musikantenstadl und dergleichen, wovon man sich ja wirklich vehement zu distanzieren bemüht ist). Und wir „Endverbraucher“ stehen bar jeder eigenen musikalischen Traditionsanbindung vor diesen diversen Angeboten wie vor einem Supermarktregal und wählen je nach Geschmack oder sonst wie begründeten Vorlieben was wir mögen. Die einen lieben die Vielfalt, andere mögen nur das eine, nicht aber das andere oder gar innerhalb einer Provenienz nur das Instrumentelle oder nur das Gesungene. So ist bei der Musik wie beim Bier oder Wein: die einen produzieren und geben sich mal mehr mal weniger Mühe damit, sind traditionstreuer oder kreativer, eigensinniger oder marktorientierter, und die anderen konsumieren, wählen aus, genießen oder legen es beiseite. Und wie es Hobbybrauer und Hobbywinzer gibt, so gibt es auch Hobbymusiker, die gerade im Folkbereich besonders wichtig sind. Und so hoffe ich, dass auch Mario Dompke mit seinem Vorhaben, die deutschen Liedgüter wieder mehr ins Bewusstsein der Leute zu bringen, auf wohlgeneigte Hörerinnen und Hörer trifft, sei es mit seinen Rheinpiraten oder mit den Musikern, deren Tourneen er organisiert!
http://www.rheinpiraten.de/
http://www.folker.de/200102/liederjan.htm
http://www.folker.de/200405/04liederjan.htm
http://de.wikipedia.org/wiki/Zupfgeigenhansel
http://www.folker.de/200104/folkl.htm
http://www.folker.de/9805/fiedel.htm
http://www.bungertshof.de/
http://www.weingutbloeser.de/
Fotos vom Konzert folgen noch.
MAS