Thursday, October 26, 2006

CD-Rezension: Whisky Trail. Chaosmos

Whisky Trail. Chaosmos

(Amiata records 2006, http://www.amiatarecords.com, http://www.whiskytrail.it/)
8 Tracks, 43:47, mit englischen und italienischen Infos und Fotos


Beim Lesen des Bandnamens erwartete ich whiskyseelige Pubsongs. Dem Whisky- und Whiskeykenner wird gleich auffallen, dass es sich wegen des fehlenden e vor dem y eher um schottische, als um irisches Lebenswasser handeln muss, und wer sich noch besser auskennt, weiß, dass es in Schottland einen Whisky Trail bzw. Malt Whisky Trail in der Speyside-Gegend gibt. Was nun aber die Band konkret damit zu tun hat, erschloss sich mir bisher nicht, meine Aufmerksamkeit wurde auch bald in eine andere Richtung gelenkt. Die Band kommt nämlich aus Italien, genauer aus der Toskana, noch genauer aus der Gegend von Florenz, und da war ich mal sehr gespannt, wie sich denn Irish oder Scottish Folk made in Italy anhören mag. Und was ich dann hörte war alles andere als Pubmusic. Gleich das Intro des ersten Stückes elektrisierte mich: Gitarren- und Glockenspiel führen zuerst ganz behutsam in eine geheimnisvolle akustische Welt hinein, Flöte und Geige ergänzen dieses dann mit einzelnen Tönen, aus denen sich dann eine Flötenmelodie im 4/4-Takt entwickelt, die Geige übernimmt später, wird schneller und schneller, schafft Spannung, die dann eine Uilleann Pipe erlöst und entspannt mit einer fröhlichen Melodie, die dann aber wieder reelig davon gallopiert. Super! Auch die anderen sieben Stücke sind auf ähnliche Weise kleine Symphonien, alle von den Musikern und der Musikerin selber komponiert, die da heißen: Vieri Bugli (Fiddle), Stefano Corsi (Keltische Harfe, Ziehharmonika, Harmonium, Gesang), Guilia Daneo Lorimer (Stimme, Fiddle), Massimo Giutini (Uilleann Pipes, Tin und Low Whistles), Pietro Sabatini (Gitarren, Bouzouki, Pedal Bass Pipe, Stimme). Außerdem bedient Piero Bubbico als Gastmusiker die Scottish Snare Drums. Solche Arrangements habe ich kaum jemals gehört: Zwei- und Mehrstimmigkeiten, Rhythmus- und Tonartenwechsel, mehrere Melodien gleichzeitig ineinander verwoben, sich abwechselnde ruhig und schnelle Partien, sehr komplexe Instrumenteinsätze, keine Volks-, sondern Kunstmusik, wenn man diese Dichotomie bemühen will. Auf der Suche nach Ähnlichkeiten fallen mir die Chieftains ein oder das Atrium Musicae de Madrid mit seinem Versuch, antike griechische Musik zu rekonstruieren oder Sharkiat, eine schweizerisch-ägyptische Ethojazzband oder auch Blowazabella, wenn auch ohne Drehleier, aber all diese Ähnlichkeiten sind entfernt, Whisky Trail erschuf eine ganz eigene Musik mit unverkennbaren irisch-schottischen Bezügen, aber eben auch ganz anderen Einflüssen. Ich bin so begeistert von dieser Musik, dass ich sie hier in meinem eigenen Medium, wenn auch Mike Kamp vom Folker! anderer Meinung ist, als eine Besondere bezeichne. Die Band brachte seit 1975 schon acht CD vorher heraus, so dass es nun aber Zeit wird, dass man auch hierzulande von ihr erfährt. Sehr schön ist auch das Büchlein, das auf Italienisch und Englisch erklärt, dass jedes der acht Stücke einem Element aus der keltischen Mythologie zugeordnet ist, nämlich Luft, Stein, Feuer, Sterne, Farben, Gerüche, Wasser und Seele. Ob das nun autochton oder eher postmoderne Keltenschwärmerei ist, sei dahin gestellt, man könnte den Religionswissenschaftler Bernhard Maier fragen, dessen Steckenpferd es ist, moderne sich auf keltische und germanische Religionen berufende Ideen zu entzaubern, der könnte da wohl aufklären, und genau so könnten vielleicht auch Musikwissenschaftler die Musik entzaubern, aber das wäre doch schade. Ich lasse mich lieber verzaubern von Whisky Trail aus der Toskana!

Trackliste:

1. Air
2. Stones
3. Fire
4. Stars
5. Colours
6. Flavours
7. Water
8. Soul

http://www.artenomade.com/festival/attuali/montelago/montelago_2006.htm
http://www.maltwhiskytrail.com/

Meine Folker!-Rezi dieser CD:
http://www.folker.de/200606/rezi-eu.htm#14


MAS