27. Lahnsteiner Bluesfestvial am 22.9.2007 in der Stadthalle Lahnstein
Kein Grund, den Blues zu kriegen – mitreißendes Festival im „Mekka der Bluesfreunde“
Den Blues könnte ich höchstens kriegen und mir selber in den Allerwertesten treten, weil ich, der ich doch aus Lahnstein stamme und bis 2001 auch noch meinen Zweitwohnsitz in der elterlichen Wohnung dort hatte, erst jetzt, in dessen 27. Jahr, das Lahnsteiner Bluesfestival zum ersten Mal besuchte. Da muss schon ein Bretone kommen, um mich, der ich ja sonst Celtic Folk-Fan bin, mit einer freundlichen Einladung mal zu diesem Zwecke zu bewegen, die mir durch viellerlei andere Veranstalungen bekannte Stadthalle in Oberlahnstein aufzusuchen. Der Bretone ist Yannick Monot und ist eigentlich Cajun-Musiker, Mitbegründer von Le Clou und lebt seit vielen Jahren im Rhein-Lahn-Kreis und trotzdem im Verteiler meines folkigen Rundbriefes für Bonn, Rhein-Sieg und Umgebung. Nun ja, was heißt „trotzdem“? Umgebung ist es ja noch.
Warum dieses so bedeutende Festival bisher nahezu gänzlich, also abgesehen von Radio- und Fernsehübertragungen, an mit vorrüber ging, ich kann es nicht begründen, zumal ich gerne Blues höre. Der Mensch ist endlich und hat Grenzen, wenn bislang auch ganz unnötige.
Lahnstein wurde tatsächlich schon „das Mekka der Bluesfreunde“ oder „des Blues“ oder so genannt, sogar in einer „Bilderbuch Deutschland“-Sendung über die Lahn ist das Lahnsteiner Bluesfestival erwähnt. Und tatsächlich standen zwei Autos vom SWR auf dem voll geparkten Saalhofplatz vor der Stadthalle. Ich dachte sofort ans Äffle und’s Pferdle und ihren „Hafer- und Bananenblues“. Gepäckkontrolle an Eingang, noch eine Absperrung zwecks Kartenkontrolle, dann hoch die Treppen über den 70er-Jahre-Teppichboden, der seine saubersten Zeiten längst hiner sich hat, hinein ins Gewühle der Blueser und Bluesfreunde, die teilweise recht bullige Typen, aber ansonsten ein guten Querschnitt des normalen Volkes. Die weiteste Anreise hatte laut Info des Moderators Thoma C. Breuer ein Ehepaar aus Fuerteventura.
Nun aber zur Musik: Yannick Monot hatte schon im letzten Jahr extra für das Lahnsteiner Bluesfestival eine eigene Combo auf die Beine gestellt, die sich Lahnstein Blues All Stars nennt. Diese, aber wenn ich es richtig verstanden habe, wieder mit anderer Besetzung oder zumindest zum Teil, eröffnete auch das diesjährige Festival. Yannick sang und spielte Gitarre, Mundharmonika (im Programmheft immer als „Harp“ bezeichnet, aber ein Harfe war weit und breit nicht zu sehen) und Akkordeon, wobei er vor allem letzterem, wenn auch ganz dezent, ein paar Cajun- oder Zydeco-Akkorde entlockte. Biber Herrmann, ein gelernter Winzer aus dem Rheingau, sang ebenfalls und spielte Gitarre und Mundharmonika, aber auch Dobro, also Metallgitarre. Er meinte zudem, dass man ja meinen könne, ein Weißer dürfe keinen Blues spielen, denn der sei die Musik der unterdrückten Afroamerikaner, aber wer im Rheingau bei 40°C im Weinberg Unkraut gejätet habe, könne die Arbeit auf den Baumwollfeldern im Süden der USA sehr gut nachvollziehen und wisse auch sehr gut, was ein Blues sei. Klaus Nol bediente einen Kontrabass und Peter Bingart ein Piano, sowie eine Melodica, das er vor sich auf dem Klavier liegen hatte und ihm die nötige Luft durch ein Mundstück mit Schauch zukommen ließ. Dann war noch ein Gitarrist dabei, nämlich Lulu Reihnard aus Koblenz, dessen Gitarrenspiel, auch bei einem musetteähnlichen Walter starke Flamencoeinflüsse aufwies. Lulu stammt aus einer Roma oder Sintifamilie, so wie der berühmte Chango Reinhard. Nina Thomas, auch aus Koblenz, bediente „nur“ ihre Stimmbänder, denen sie aber einen volltönigen Gesang entlockte, der auch einer schwarzen Gospelsängerin zur Ehre gereichen würde. Schließlich war da noch mit Gitarre und rauer, eigentlich kaum vorhandener Stimme, Werner Lämmerhirt, der dem Blues eine gute Portion nordeutschem Fingerpicking und Deutschfolk hinzu gesellte. Diese Combo spielte eine Musikmischung, die nach meinem Verständnis zur Hälfte aus Blues im engeren Sinn und zu anderen Hälfte aus Swing, anderem Jazz, Deutschfolk, Flamenco, Gospel, Country, Cajun und anderen Musikstilen bestand, ein buntes Mosaik also, und so gar nicht geeignet, einen traurig zu stimmen.
Der zweite Act war eine Preisrede von Reinhard Lorenz vom Internationalen Jazz- und Bluesarchiv Eisenach auf Günther Kieser, einen Künstler, der sich seit den 1950ern als Entwerfer von Konzertplakaten und Plattencovers einen Namen gemacht hat. Wie auch in Rudolstadt des öfteren erlebt, war das Publikum anschließend großenteils froh, als die Rede vorbei war und die Musik weiter ging. Dabei was das doch sehr interessant, die Vita eines Menschen zu hören, von dem ich noch nie etwas gehört hatte, der sich aber um die visuelle Darstellung musikalischen Schaffens so verdient gemacht hat. Bevor er sich an die konkrete Gestaltung eines Plakates gemacht hat, soll er sich zuerst tief in die Musik des betreffenden Musikers hineingehört haben, so zum Beispiel in die von Jimmy Hendrix. Es gab auch eine kleine Ausstellung in einem anderen Raum, die ich mir in einer Pause anschaute. Plakate aus der Zeit vor meiner Geburt, zum Beispiel vom American Folk Blues Festvial von 1962 und anderen Jahren, als Folk und Blues noch die Musik einer breiten Jugend war, neben Jazz, Rock, und Schlager die Massen erreichte. Oder wie war das damals? Das irische Folk Revival stand zu der Zeit jedenfalls noch bevor. Dem Künstler wurde dann natürlich auch ein Preis verliehen, eine kleine Skulptur, nicht unähnlich der Ruth, nur hier Blues-Louis mit Namen, benannt nach Louis Amstrong, den ich bislang nicht mit Blues in Verbindung gebracht hatte. Dieser Preis wird seit 1997 jährlich vergeben, und zu den Preisträgerinnen gehört auch die in Folk-Kreisen berühmte Hildegard Döbner, an deren Küchentisch in Witten dereinst Johannes Epremian erstmals auf Le Clou traf. Zur Feier des Preisträgers spielte eine Frankfurter Band namens Herbert Christ And His Bluesicians, bestehend aus Hebert Christ (Trompete, Horn und Gesang), Olaf Polziehn (Flügel), Achim Hamacher (ein riesiges Ding von Bass Saxophon) und Siggi Gerhard (normales Saxophon), sowie noch mal Biber Herrmann (Gesang und Gitarre) ein paar doch eher wieder jazzige Stücke zwischen Swing und Dixieland und vor allem in dem Stil von Louis Armstrong, doch auch ein paar eigentliche Bluesstücke, darunter ein von Biber auf Deutsch gesungenes Loblied auf den Preisträger.
Dann gab es die Pause, in der ich froh darum war, mit trotz des Sponserings und daher auch der Herrschaft über den Biersausschank von Bitburger ein Lahnsteiner Weizenbier zu ergattern und für Petra einen trockenen Silvaner und uns beiden Flammkuchenbaguettes. Lecker! Derweil war zwar Yannick, den ich natürlich begrüßen wollte, schon wieder entschwunden, aber ein Schulkamerad von mir, der seit 1983 fast jährlich das Bluesfestival besucht, und der Braubacher Bluesmundharmonikaspieler Willi Küppers, den wir schon ein paar Mal in Bonn, Siegburg und Lahnstein gehört hatten, kreuzten unsere Wege.
So gut uns schon die ersten beiden Band gefallen hatten, so sehr riss uns nun die Charlie Musselwhite Band mit, die nicht, wie ich erst dachte, nach einer Verenglischung des Koblenzer Stadtteils Moselweiß benannt war, sondern eben nach Charlie Musselwhite, einem Südstaatler Chaktaw-indianischer Herkunft (ja das Programmheft ist voller Hintergrundinfos), der seit Jugendzeiten in Chicago wohnt. Der 1944 Geborene spielte schon mit Muddy Waters, Howlin Wolf und John Lee Hooker – wem die Namen dieser Blueslegenden was sagen. Charlie spielte Gitarre, Mundharmonika und sang, Chris „Kid“ Anderson aus Norwegen spielte E-Gitarre, Randy Bermudes aus USA E-Bass und June Core aus USA Schlagzeug. Und wie man bei dieser mitreißenden Musik den Blues bekommen kann, ist mir echt ein Rätsel. Ja gut, die Texte, so man sie verstand, waren ernst bis traurig, aber die Melodien und Rhythmen wirkten zumindest auf mich eben mitreißend oder aber cool-entspannend-wiegend, blues-rockig. Petra und ich sagten spontan: „Das klingt nach Sommer ’97“, denn vor 10 Jahren und je (fast) 10 kg waren wir oft bei der Blues Session in der Jazz Galery in Bonn zu Gast, und der Rhythmus bestimmte den damaligen Sommer, den wir auch großenteils am und auf dem Rhein verbrachten, ahc ja, der war blau und der Himmel darüber auch und weit und groß, ja, das war auch eine Art Blues Feeling, aber ohne Traurigkeit, eher im Sinne von „blau machen“. Einiges erinnerte mich auch an Chris Rear oder war eher soulig, aber dann ging anderes so schnell ab, dass ich mal versuchte, die Takte zu zählen und dabei feststellte, dass es nach 16 Takten Wiederholungen gab, ja, 16/8, Reel-Rhythmus.
Den Blues bekamen wir aber dann, als ein Blick auf die Uhr uns zeigte, dass es Zeit zum Aufbruch war. Denn justament in diesem Monat zeigte es sich, dass mein 1988er Ford Scorpio nur noch mit hohem finanziellen Aufwand über den TÜV kommen würde und gerade der Kühlungsventilator kaputt war, so dass wir lieber mit Bahn und Bus hergereist waren, um nicht mitten in der Nacht irgendwo liegen zu bleiben. Dabei hätte ich die Rorymania so gerne gehört, denn das war eine Hommage an einen irischen Blueser namens Rory Galagher (1949-1995), und im Programmheft steht einiges über Parallelen zwischen afroamerikanischen und irischen Schicksalen in Amerika und zwischen Blues und Irish Folk. Aber nein, ich mochte selber eine Lamentation anstimmen, es half nichts, zwar nicht das Schiff nach Americae, aber der Bus zum Koblenzer Hauptbahnhof hatte einen Fahrplan, der keine Rücksicht auf unsere Bedürfnisse nahm, und auch so waren wir erst gegen 1.20 Uhr wieder in Siegburg, während das Bluesfestival noch bis nach Mitternacht zu dauern angekündig war. Jetzt hoffe ich sehr, die SWR-Fernsehübertragung nicht zu verpassen, wenn sie denn ausgestrahlt wird und vielleicht im nächsten Jahe meiner Heimatstadt wieder einen bluesigen Besuch abstatten zu können.
http://www.lahnsteiner-bluesfestival.de
MAS