Marcel Adam am 18.5.2007 im Bungertshof in Königswinter-Oberdollendorf
Lothringische Mundart, französiche Chansons und deutsche Liedermacherei
Nun ist man mal pünktlich schon gegen 19.30 Uhr im Bungertshof, da ist der Saal noch völlig leer, und nur eine Gitarre und eine Madoline auf der Bühne verraten, dass man sich nicht im Termin vertan hat. Er saß noch im Biergarten, Marcel Adam aus Lothringen, zusammen mit seiner Frau Claudia, seinem kleinen Hund und Gerd und Martina Schinkel. Na, dachte ich, da sitzten ja die richtigen beisammen, Petra und ich wurden dazu gebeten, uns schon begann die Fachsimpelei über Deutschfolk, den Folker! und sonstiges Folks, aber davon will ich hier gar nicht berichten. Nicht nur Iren nehmen es mit der Zeit gemütlich, auch Franzosen – und ein solcher ist Marcel als Lothringer ja – aber auch Saarländer lassen sich nicht durchs Leben hetzen, so dass cum tempore sich der Künstler auf die Bühne begab, vor der sich mittlerweile ein 44 Ohren zählendes Publikum eingefunden hatte. Marcel ist wohl die zehnfache Menge gewohnt, was zu betonen er immer wieder einen Anlass fand.
Nun ja, so möchte sich so mancher beim Lesen der Ankündigung gedacht haben, für einen Sänger mit Gitarre sich in den Bungertshof zu begeben, lohne sich nicht, und mit Lothringer Mundart mag so mancher wohl auch nichts anzufangen wissen. Französisch ist schon schwer genug, und dann auch noch im Dialekt! Aber nein weit gefehlt, auf Französisch sang Marcel nur ein paar wenige Lieder, und Lothringisch ist so wenig Französisch wie beispielsweise Elsässisch oder – der Vergleich wird Marcel besser gefallen und ist philologisch auch korrekter – Saarländisch, Pfälzisch oder Nordbadisch, denn zu dieser rheinfränkischen Dialektgruppe gehört das Lothringische, was man zweifelsfrei auch heraus hört. Alsi ich erst mal neugierig CDs von Marcel hörte, war ich über diese Nähe doch einigermaßen erstaunt. Es hat nun keineswegs damit zu tun, Elsass-Lothringen „heim ins Reich“ holen zu wollen, wenn man also einen Franzosen, dessen Muttersprache ein deutscher Dialekt ist, ins Rheinland einlädt. Nein, es hat etwas damit zu tun, dass Marcel Adam nicht irgendeein Bänkelsänger ist, sondern zwei Mundartbereiche weiter südlich (dazwischen liegt ja noch der moselfränkische Bereich, aus dem ich stamme) eine gefragte Größe, die in Saarbrücken, Ludwigshafen und Mannheim ein großes Stammpublikum hat, in Ludwigshafen vielleicht sogar mehr als in Saarbrücken, wie ich nach den vielen Seitenhieben auf die Saarländer zwischen den Liedern mutmaße. Die Pälzer und die Saarlänner sind da so in etwa wie hier die Rheinländer und die Westfalen oder wie weiter südlich die Badener und die Schwaben. Und die Lothringer? Ja von denen weiß wohl kaum noch einer, dass sie exisitieren, so als eigene Ethnie neben Elsässern, Bretonen, Okzitanen, Basken und Korsen. Lothringisch soll – anders als Elsässich – am Aussterben sein, weil es nur noch von den Alten gesprochen, den Jungen aber nicht mehr beigebracht wird. Marcel, der nun aber tatsächlich Französisch als erste und Hochdeutsch als zweite Fremdsprache lernte, hält erst recht – oder wie es auf Lothringisch heißt: grad’ze lääd (nicht grad’ze lääds, denn das sei ein saarländischer Sprachfehler, wie marcel erklärte) – die Fahne seiner Muttersprache hoch.
Und was sang er nun auf Lothringisch? Hauptsächlich waren es Alltagsgeschichten: Erinnerungen an die erste Liebe oder an die Oma, mahnende Worte darüber, wie hart die Frauen für die Familie arbeiten müssen, eine Schilderung einer lustige Beerdigung, über die Wäschkisch (Waschküche) als häuslichem Lebensmittelpunkt und dergleichen sehr persönliche und damit authentische Dinge. Die Melodien erinnerten zum Teil an deutsche Schlager, zum großen Teil aber sehr an französische Chansons, und wenn sich dann hin und wieder ein französisches Wort einschlich, hatte ich das Gefühl: das passt! Aber es gab auch ein paar hochdeutsche Lieder, darunter eines, das Gerd Schinkel aus dem kanadischen Französisch übersetzt hat und das von einem Mord an einem Apotheker handelt (es ist auch auf der CD „Starke Frauen“ die ich noch rezensieren werde) und von den Höhnern „Das schönste Mädchen vom Westerwald“. Und da fällt mir ein, dass Marcel etwas mit den Huusmestern gemeinsam hat: Die Abneigung gegenüber der zwangsläufigen Verbindung von Mundart und Karneval. Er meinte, die Kollegen im Saarland sängen immer nur vom Lyoner Wurst, die in der Pfalz von Weck, Woscht un Woi und die in Köln von Kölsch, Kanveval und Lecker Määdsche (bzw. das waren meine Ergänzungen zu den Lyoner), aber man könne auch ernsthafe Texte auf Mundart singen. Kann man, ja! Aber auch hier wie bei den Huusmeistern: Distanz zur karnevalistischen und ähnlichen oberflächlichen Vereinnahmung von Mundart lässt leicht übersehen, dass auch diese Texte oft nur vordergründig so oberflächlich erscheinen. Mit dem schönsten Mädchen vom Westerwald, das ja übrigens auf Hochdeutsch ist, macht Marcel bewusst eine Ausnahme, und betonte stolz, er sei wohl der einzige Franzose, der das im Repertorie hat.
Ich fand die Begegnung mit Marcel Adam sehr interessant. Einen besseren Vertreter des „Europas der Regionen“, das ja so oft propagiert wird, lässt sich wohl kaum denken. In erster Linie fühlt er sich als Lothringer, in zweiter Linie als Franzose. Sein Hauptpublikum hat er im rheinfränkischen Dialektbereich, aber auch sonst eher in Deutschland als in Frankreich. Und doch ist seine Perspektive auf Deutschland, wie man vielen ironischen Bemerkungen über deutsche Eigenarten entnehmen kann, eine französische. Er wohnt in Grosbliedertroff, direkt an das Saar auf lothringischer Seite und gegenüber dem Saarländischen Kleinblittersdorf. Claudia, seine Frau, ist Saarländerin und erträgt seine Witze über ihre Landsleute und deren eigenartigem Dialekt, der durch viele kleine Feinheiten doch etwas anders ist als das Lothringische, was mir aber von selber nicht auffiel, mit Humor. Was sich liebt, das neckt sich, und für mich hörte es sich nicht viel anders an als Gerd Dudenhöfer. Unser Bereich hier ist jenseits seines regionalen Bewusstseins, so fragte er, wo denn der Westerwald sei und ob wir hier noch in Rheinland-Plalz seien. Nun ja, ich musste auch nachgucken, ob Chalons sur Marne noch in Lothringen ist und fand heraus, dass es zur Champagne gehört und fand auch erst durch einen Blick in einen historischen Atlas heraus, dass der deutsch-, also lothringischsprachige Teil Lothringens nur ein kleiner Teil der Region ist, und die Orte, in denen ich schon war, zum Beispiel Verdun, Nancy und Bar le Duc schon weit im französischsprachigen Teil liegen.
Wer nun neugierig geworden ist, hat am 15.6. die Gelegenheit, Marcel zusammen mit Helmut Eisel in Linz zu hören und/oder sich seine CDs zu kaufen. Seine neuste CD gab er mir mit, und ich werde sie noch rezensieren.
Noch was zum Bungertshof: Ein großes Lob an die Küche für die sehr leckere Folienkartoffel mit gebratenen Pilzen, an die Winzerfamilie Broehl-Blöser aus Oberdollendorf für den süffigen milden Portugieser und an die Höfe-Brauerei für ihr nicht Kölsch heißen dürfendes Obergäriges (+++; Farbe: mittelgelb; Duft: sehr samtig, süßlich-würzig; Geschm.: dto., sehr vollmundig; Abg.: dto., lang, intensiv, auch süß-sauer-herb), kein Lob für den Kellner dafür, dass er immer noch nicht wusste, wo denn das Bier gebraut wird. Ich bin gespannt, ob ich da beim nächsten Besuch im Bungertshof eine andere Antwort bekomme als „irgendwo in der Pampa“.
http://www.marcel-adam.de
http://www.folker.de/200105/adam.htm
http://www.bungertshof.de/
Zu den erwähnten Huusmeistern vgl.:
Huusmeister am 17.3.2007 beim Folk im Feuerschlösschen in Bad Honnef
online: http://folktreff-bonn-rhein-sieg-rezensionen.blogspot.com/2007/04/konzerrezension-huusmeister-am-1732007.html
Und wer was über moselfränkische Mundartmusik wissen will lese meine CD-Rezis:
Woltähr. Trierer Venus
Woltähr. Trier by night
http://folktreff-bonn-rhein-sieg-rezensionen.blogspot.com/2004/07/cd-rezension-wolthr-trierer-venus.html bzw. http://tinyurl.com/axchx und http://www.folkig.de/reviews/woltaehr.php3
und auch
Walter Liederschmitt & Andreas Sickmann. Treverer Barden. Trier/Mosel
http://folktreff-bonn-rhein-sieg-rezensionen.blogspot.com/2006/02/cd-rezension-walter-liederschmitt.html bzw. http://tinyurl.com/977wx
und
Woltähr. Trier night & day. bonus tracks 2001 – 2005
http://folktreff-bonn-rhein-sieg-rezensionen.blogspot.com/2006/02/cd-rezension-wolthr-trier-night-day.html bzw. http://tinyurl.com/9ype6
Und bei weiterem Interesse an ripuarischer Mundartmusik ohne Karnevalsklischees:
Wibbelstetz. De Kopp voll Dröhm
http://folktreff-bonn-rhein-sieg-rezensionen.blogspot.com/2005/09/cd-rezension-wibbelstetz-de-kopp-voll.html bzw. http://tinyurl.com/75mpc
und
Günter Hochgürtel. Troubadour. Günter Hochgürtel singt eigene und andere Lieder.
http://folktreff-bonn-rhein-sieg-rezensionen.blogspot.com/2005/10/cd-rezension-gnter-hochgrtel.html bzw. http://tinyurl.com/dsbzy
Interessanterweise sind sowohl Walter Liederschmidt, als auch Günter Hochgürtel sehr frankophil.
MAS