Wednesday, September 06, 2006

Konzertrezension: Deitsch am 6.9.2006 beim Folk im Feuerschlösschen in Bad Honnef

Deitsch am 6.9.2006 beim Folk im Feuerschlösschen in Bad Honnef

Der Folk im Feuerschlösschen e.V. startete sein zweites Halbjahresprogramm 2006 mit einem Act, der mir so wichtig war, dass Petra und ich sogar von Winningen angereist kamen, wo wir gerade ein paar Tage moselweinseligen Urlaub machten. Nach dem ich von fast einem Jahr die CD „Königskinder“ gehört hatte, die von Ulrich Joosten im Folker! als Besondere eingestuft worden war, war ich sehr gespannt, wie sie sich life anhören. Deitsch ist ja eigentlich ein Duo, bestehend aus Gudrun Walter und Jürgen Treyz, auf der CD werden sie aber von sieben weiteren Musiker(inne)n unterstützt. An diesem Abend war von diesen sieben Johannes „Philipp“ Uhlmann mit dabei, so dass es also die Trio-Version von Deitsch war.

Sie spielten zunächst mehr oder weniger den CD-Inhalt, den sie nach der Pause um drei, vier Stücke erweiterten. Ich merkte bald, dass es wenig Sinn macht, eine CD-Produktion mit einem Life-Auftritt zu vergleichen. Sicher war ich gespannt, wie sie mit den Stellen umgingen, bei denen auf der CD ein mehrstimmiger Satzgesang zu hören war, oder ob es arg ins gewicht fällt, wenn Sackpfeife, Cello, Bass und andere Instrumente nicht zu hören sind. Nun, den Satzgesang brachte auch Jürgen alleine ganz gut oder an anderer Stelle wurde er einfach weg gelassen, und die drei Instrumente auf der Bühne brachten die Liedbegleitungen und Instrumentals auch sehr gut und echt herüber. Und anstatt immer hin und her zu vergleichen, tat ich viel besser daran, die Musik auf mich wirken zu lassen, wie sie in dem Augenblick dargeboten wurde.

Vom Publikum aus gesehen saß linkt Johannes mal mit Geige, meistens aber mit diatonischem Akkordeon, in der Mitte stand Gudrun, die sang, Geige und Viola spielte, und rechts saß Jürgen mit verschiedenen Gitarren und ab und zu seiner eigenen Stimme. Gudrun benutzte ein Mikrophon, denn ihre Stimme war doch sehr zart, was aber auch ihren Reiz ausmachte. Sie sang die Lieder von unglücklicher Liebe, gefährlichen Wassernixen, listigen Liebesprüfungen und anderen ernsten Themen in einer einerseits sehr lockeren und recht minimalistischen Art, die in einem gewissen Widerspruch zur Ernsthaftigkeit der Themen stand, die dann andererseits aber auch an bestimmten Stellen Tonfolgen hervorbrachte, die die Dramatik um so mehr unterstrich. Manchmal strich sie gleichzeitig rhythmisch mit dem Bogen über die Violasaiten. Außer begleitenden Akkorden und unterlegenden Quasi-Bordunen gab es zwischen den Strophen immer wieder instrumentale Intermezzi, häufig sehr rhythmische, nahezu zum Tanzen einladende, jedenfalls keine, die einfach nur die Liedmelodie spielten, sondern einen musikalischen Kontrast hinein brachten. Bei irischen und schottischen Folkbands ist das schon fast normal, in der deutschen Volksmusik aber bislang noch sehr selten. Die Lieder wechselten sich mit Instrumentals ab, zumeist Tänzen wie Polkas, Walzern, Rheinländern und Schottischen, und es war sogar ein Reel dabei, kein irischer oder schottischer, sondern einer aus Quebec. Gudrun verlieh ihrem Bedauern darüber Ausdruck, dass die deutsche Volksmusik keine Reels kenne und meinte, das lasse sich doch bestimmt ändern, und so einer aus Quebec höre sich wie ein zu schnell gespielter Rheinländer oder Schottischer an. Nun ja, aber welcher 08/15-Volksmusiker kennt heutzutage noch Rheinländer und Schottische? Aber vielleicht gelingt es ihnen, zumindest die Balfolk-Szene davon zu überzeugen. Schön wäre es! Außer Tanzmelodien gab es auch bedächtige Märsche und lustige, inhaltlich unwichtige Reime auf Schwäbisch, und zum Schluss ein pfälzisches Spottlied auf von ihren Frauen „dressierte“ Männer.

Also für mich hat sie die Anfahrt von Winningen her sehr gelohnt, und als wir dann im Vollmondlicht rheinaufwärts wieder der Mosel zu rollten, klangen die Lieder und Melodien noch lange in uns nach und verbanden sich mit dem Fluss, dem Mond, den angestrahlten Kirchen und Burgen zu einer Stimmung, die man wohl mit Recht als „romantisch“ bezeichnen kann.

Die Romantik war ja im 19. Jahrhundert eine Bewegung, in der sich die Menschen der eigenen, im Gegensatz zu fremden, und der gemeinsamen im Gegensatz zu regional unterschiedlichen nationalen Wurzeln bewusst wurden oder zu werden suchten. Deitsch als Vertreter des neuen deutschen Folk-Revivalchens, wie Mike Kamp es in der diesbezüglichen Diskussion in Rudolstadt nannte, sind in diesem Sinne romantisch, aber sie verschließen die deutschen Grenzen nicht, sondern öffnen sie weit für Einflüsse anderer Wurzelmusiken. Während viele Volks- und vor allem volkstümliche Musiker eher von Rock, Pop und Schlager beeinflusst sind, sind diese es von den Volksmusikern Irlands, Schottlands, Frankreichs, des Balkans, Skandinaviens und anderer Gegenden Europas, die sie jahrlang mit Liebe und Hingabe studiert und praktiziert haben und es auch weiterhin tun. Und diese Einflüsse verschmelzen mit den deutschen traditionellen Liedern und Melodien so harmonisch, dass ich diese Beurteilung mit einem in der Pause aufgeschnappten Zitat von Tom Kannmacher beenden möchte, der (sinngemäß) zu Gudrun und Walter sagte: „Ihr macht das, was ich vor 30 Jahren gemacht habe, nur auf einem beneidenswerten Niveau.“

http://www.deitsch.de/
http://www.folkimfeuerschloesschen.de.vu/

Vgl. auch meine CD-Rezi:
http://folktreff-bonn-rhein-sieg-rezensionen.blogspot.com/2005/11/cd-rezension-deitsch-knigskinder.html bzw. http://tinyurl.com/ddp3h

Vgl. auch Ulrich Joostens Texte:
http://www.folker.de/200601/04deitsch.htm
http://www.folker.de/200601/bescd.htm#01


MAS