Brave Buben am 14.11.2006 beim Folk im Feuerschlösschen in Bad Honnef
Dieses FiF-Konzert fand im Widerspruch zum Namen des Vereins nicht im Feuerschlösschen statt, sondern im Weinhaus Steinbach, etwa 500 Meter vom Siebengebirgsgymnasium entfernt. Warum, erkläre ich weiter unten.
Aufmerksamen Leserinnen und Lesern meiner Musikrezensionen wird es aufgefallen sein, dass ich südosteuropäischen Einflüssen auf nordwesteuropäische Musik, vor allem Balkaneinflüssen auf Irish Folk, sehr positiv gegenüber stehe. Obwohl das so ist, habe ich von der Musik beziehungsweise den Musiken Ost- und Südosteuropas herzlich wenig Ahnung. Das heißt, ich ahne schon was, aber weiß wenig. Nun ergab sich an diesem Abend die Gelegenheit, diese Wissenslücke ein wenig zu schließen, indes nicht theoretisch, sondern akustisch.
Die Braven Buben sind sieben Buben und ein Mädel aus Graz in der Steiermark, jener Stadt, die 2003 Kulturhauptstadt Europas war, aus welcher Manfred Hutter stammt, unser amtierender Religionswissenschaftsprofessor hier in Bonn, durch welche das Flüsschen Mur südwärts fließt, geradewegs, oder nein, eher in vielen Kurven, nach Slovenien hinein. Dort, also in Graz, gibt es eine unter Kennern berühmte Musikhochschule, welche Musikstudenten aus aller Welt anlockt, und es gibt eine lebendige Clubszene, in welcher der nahe Balkan nicht zu überhören ist.
Das Weinhaus Steinbach ist zwar ein im Inneren enges Fachwerkhaus, hat aber eine Halle, die sehr wie eine Dorf- und Weinfest-Mehrzweckhalle wirkt, mit langen Tischen und einfachen Stühlen, aber auch ein paar Weinmotiven an den Wänden. Es gibt eine Bühne, die für die acht Grazer gerade so ausreichte. Diese saßen ums Eck rum, ganz links Lotha Lässer (Akkordeon), dann Sasanko Prolic (E-Bass), in der Ecke Jörg Mikula (Schlagzeug), dann Kurt Bauer (Geige), Richard Winkler (verschiedene Saxophone und Schalmei) und ganz rechts Michael Bergbaur (Posaune). Vor den Instrumentalisten stand bei den Liedern Vesna Petkovic, die Sängerin. Und so wird auch schon klar, warum das Konzert nicht im Feuerschlösschen statt fand, denn bei dem Instrumentarium hätten in dem Gewölbe auch die dicksten Dämmplatten der dänischen Firma, die mit solchen den Klang der Musik in hallenden Räumen verbessern will, nicht ausgereicht, die Lautstärke auf ein angenehmes Maß zu reduzieren.
Ja, laut war die Musik, es hätte von daher gar nicht der Mikrophone und Lautsprecher bedurft. Und mitreißend war sie, mit Rythmen, die ich gar nicht zu benennen wage. Ich zählte mal EINS, zwei, drei, (Pause), EINS, zwei, drei, (Pause), ... oder ähnliches bis vier. Es waren nicht nur 7/8-Rythmen, sondern es war fast in jedem Stück anders. Die Kombination von Pausaune und Geige war sehr ungewöhnlich, und wenn dann noch das Saxophon dazwischen quäkte (nicht negativ gemeint!), dass kam mir bisweilen das Wort „Kakophonie“ in den Sinn, was auch nicht negativ gemeint ist, denn es verursachte eine ungemeine Spannung und eine Fröhlichkeit, ja eine wohltuende (!) Albernheit. Aber ich rede doch lieber von Polyphonie, das klingt besser und trifft es auch besser. Und ich muss bei der Gelegenheit besonders Stefan Bauer erwähnen, den Tontechniker, der es schaffte, diese ungleich lauten Instrumente alle auf ein gemeinsames Lautstärkemaß zu bringen, so dass man auch die Geige und das Akkordeon hörte. So gesehen, waren die Mikrophone doch notwendig. Und Vesnas Stimme, die in ich weiß nicht wie vielen Sprachen sang, serbisch (ihrer Muttersprache), mazedonisch, sephardisch, bulgarisch, griechisch, ... Da wären wir auch beim Thema der musikalischen Provenienzen: Ein Stück kam von der Krim, eines aus der Türkei, mehrere aus Griechenland, einige waren aus Bulgarien, aus Mazedonien, aus Bosnien oder aus den geographisch nicht exakt zu bestimmenden Traditionen des jiddischen Klezmer und der Romamusik. Auch südamerikanische Einflüsse waren heraus zu hören, Rumba, Ska, ..., des weiteren Jazz. Der Jazz kam manchmal sehr deutlich hervor, so dass ich mir eigentlich kaum noch vorstellen kann, südosteuropäische Einwanderer hätten in USA an der Entstehung des Jazz einen geringeren Anteil als die aus Afrika, denn all die genannten Stile inklusive der orientalischen Einflüsse, die diese traditionellen Musikern eh schon in sich tragen, wirkten wie aus einem Guss, als müsste es so sein und könnte gar nicht anders. Der Aussage Lothars, das einzige gemeinsame Kriterium, das ihr Repertoire zusammen halte sei, dass es alles mehr oder weniger tanzbar sei, kann ich also nicht bestätigen. Ich bestreite nicht die Tanzbarkeit, sofern man die dazu gehörenden Tänze kennt, aber ich bestreite, dass es das einzige Gemeinsame ist. Vielmehr liegt diese meines Erachtens doch in der gemeinsamen geographisch-kulturellen Herkunft aus dem Bereich des ehemaligen osmanischen Reiches, die auch die Art bestimmt, wie spätere Einflüsse verarbeitet werden. Tanzmusik kann sich auch ganz anders anhören, dass weiß wohl jeder.
Im Publikum tanzte auch kaum jemand, und die es taten, kannten die Tänze nicht. Vielleicht sollten die man nach Boppard zum Balkantanzworkshop gehen. Ich saß auch lieber zuhörend da, schlürfte dabei genüsslich einen halbtrockenen Oberdollendorfer Sülzenberg Riesling, der gut zur Musik passte, denn wo die Musik und die Musiker herkommen, da wächst auch Wein.
Wer sich noch selber einen akustischen Eindruck von den Braven Buben inklusive Mädel machen möchte, kann das im Radio: WDR3, 5.12.2006, 23.05 Uhr. Die Aufnahme stammt vom 13.11., dem Tag vor dem hier rezensierten Konzert.
Mehr Infos unter:
http://www.bravebuben.at
http://www.folker.de/200606/13herzeuropas.htm
http://www.wdr.de/radio/wdr3/
http://www.kug.ac.at/
http://www.graz.at/
http://www.folkimfeuerschloesschen.de.vu
http://www.weinhaus-steinbach.de/
Vgl. auch meinen Text:
Ein paar unausgereifte Gedanken über bulgarische Einflüsse auf die irische Musik
http://folktreff-bonn-rhein-sieg-rezensionen.blogspot.com/2004/12/ein-paar-unausgereifte-gedanken-ber.html bzw. http://tinyurl.com/b78ve
MAS