Tuesday, November 21, 2006

Konzertrezension: Klangwelten-Festival am 21.11.2006 in der Kunst- und Ausstellungshalle in Bonn

Klangwelten-Festival am 21.11.2006 in der Kunst- und Ausstellungshalle in Bonn

20 Jahre tourt nun schon Rüdiger Oppermann mit seinem Klangwelten-Festival durch Deutschland, ich aber besuchte es nun erst zum zweiten Mal, was ich sehr bedauere (nicht, dass ich es besuchte, sondern dass ich 18 dieser Konzerte verpasst habe!)

Die Bühne der KAH ließ wieder Exotisches erwarten. Da stand ein Gebilde in Form einer Palme oder eines Krans, an dem eine Laterne hing, da standen und lagen auf einem Podest aus Publikumsperspektive rechts riesige und winzige Trommeln und links auf einem anderen Tablas, da zwischen stand eine kleine und eine große Harfe, ein Baum mit Saiten dran, vorne am Bühnenrand standen drei Metallophone, ganz hinten auf der Bühne hingen Gong-Becken. Doch statt dass sich auf der Bühne was tat, ertönte plötzlich von hinten ein Klang, ähnlich der einer Schalmei, und ein Musiker kam spielend langsam die Treppe zwischen den Zuschauerreihen herunter. Es war Arto Avestian aus Armenien, und er spielte eine Duduk, eine Art Oboe, und zwar eine langsame, getragene, etwas melancholische Melodie. Die Aufmerksamkeit des Publikums lag auf ihm, so dass Rüdiger Oppermann sich fast unbemerkt auf die Bühne schleichen und an die große Harfe setzen konnte, auf der er die armenische Melodie begleitete. Wie ein Wesen aus einer anderen Welt betrat Lisa Kanchukh, auch aus Armenien die Bühne, die mit ihrer Geige aus dem Duo ein Trio machte. So schwebte ein paar Minuten die Stimmung wie ein Klageruf zwischen den Bergen des Kaukasus. In der irischen Musik würden man so ein Stück wohl eine Air nennen. Aus dem Trio ein Quartett machend setzte sich der in Wien lebende Inder Jatinder Thakur an seine Tablas, und natürlich musste nun etwas Rhythmus in die Musik kommen und tat es auch. Erst dann erfolge Rüdigers Begrüßung und Ansage.

Rhythmisch blieb es dann eigentlich fast das ganze Konzert lang. Die Ekoula Group aus Uganda, bestehend aus Joel Ekuka, Jimmi (da fehlt mir der Familienname), Joel Ocen und Bartolomew Owello bestritt die zweite Nummer. Die vier stammen aus dem der Grenze zum Sudan und damit dem Bürgerkrieg gefährlich nahen Gebiet Ugandas und hatten für diese Tournee erstmals in ihrem Leben ihre Heimatregion verlassen. Sie trugen alle Lendenschürze und Scherpen aus Gazellenfell und Strohhüte mit Federn daran. Sie spielten auf Okemben, einem oft als Finger- oder Daumenklavier bezeichneten Instrument aus einem hölzernen Klangkörper und metallenen Zungen, die mit dem Daumen geschnipst werden, sowei ein Trömmelchen namens Bul. Dazu sang Joel Ekuka auf Lango, deren Text wohl kaum jemand verstand. Rüdiger Oppermann erklärte, dass die Musik eigentlich die Texte transportiere, auf die es ankomme, aber hier, wo sich die Musiker auf ein Publikum einstellten, das ihre Texte nicht verstehe, legten diese nach und nach immer mehr Feinheiten in die musikalische Darbietung. So verändert sich traditionelle Musik. Rüdiger sagte, die Texte enthielten oft Botschaften im Dienste von Auftraggebern wie dem Roten Kreuz oder politischen Parteien. So handelte eines der Lieder im Laufe des Abends von Badhygiene. Also, ich habe das der Musik nicht angemerkt. Die war so fröhlich, so ausgelassen, so melodisch und rhythmisch, dass mir wirklich kein Gedanke an dieses Thema kam.

Vor Jahren schenkte mir ein Freund aus Java mal eine Cassette mit Gamelanmusik, und als ich nun auf Plakaten las, dass Gamelanmusik beim Klangwelten-Festival anscheinend im Mittelpunkt stehen sollte, schwante mir eine halbe Stunde oder so langweiliges Bimmelbimmelbombom, aber weit gefehlt! Agus Supriawan und Wahyu Rochewandy sahen mit ihren Stirnbändern aus wie Piraten oder wie Freiheitskämpfer aus der Mannschaft Sandokans. Sie setzen sich an zwei der drei Metallophone, die Saron heißen, während sich Rüdiger höchstselbst an das dritte setzte, und zuerst begann es tatsächlich wie befürchtet, aber nach ein paar Sekunden schon wurde daraus ein dermaßen hohes Tempo, begleitet mit lustigen Ausrufen und Grimassen der beiden Javanesen, die mir Affen nachzumachen schienen, dass nicht nur ich höchst belustigt und fasziniert dem Schauspiel folgte. Rüdiger indes hatte etwas Schwierigkeiten beim Mitspielen den beiden zu folgen, aber er machte es ganz gut. Es ist überhaupt bewundernswert, wie er sich in diese vielen verschiedenen Musikstile und -traditionen hineinfühlen, -denken und -arbeiten kann. Weniger achtete ich auf eine Besonderheit dieser Musik, von der ich anschließen las: Die zwei Spieler spielten eine Melodie dahingehend gemeinsam, dass jeder von beiden einen Ton ausließ, den aber der andere spielte, so dass wirklich erst beide zusammen die Melodie spielten, und jeder von beiden nur die halbe. Dann wechselten die beiden Indonesier an ihre Trommeln, die man Gendang nennt, worauf sie ihr Schauspiel fortsetzten. Ja, Schauspiel, denn erst der eine, dann der andere in jeweiliger Trommelbegleitung des anderen bot einen Tanz dar, und der könnte aus einem Kung Fu-Trainings-Film stammen. Also, meine Meinung über Gamelan ist vollständig revidiert. Dank an Jatinder Thakur, dem es zu verdanken ist, dass diese beiden zum zweiten Mal bei den Klangwelten auftraten und ich sie erleben durfte!

Dass auch Europa noch was beizutragen hat bewies Servais Haanen aus den Niederlanden. Er hatte den Ugandanern schon mit einer Tuba etwas Unterstützung geboten, und nun spielte er auf seinem eigentlichen Instrument, dem diatonischen Akkordeon. Lustig war, dass Rüdiger erklärte, Servais mache es damit ähnlich wie er mit seiner Harfe, denn beide seinen traditionelle Instrumente, aber sie spielten beide damit keine traditionelle, sondern recht experimentelle Musik, und dann das erste Stück, was sie miteinander spielten zu sagen wir mal 70% irisch beeinflusst war, bzw. mir zu sein schien. Laut Programmheft war der Takt aber 2-2-3-2-2-4, was ich während des Konzert leider nicht heraus hörte. Ich hätte es vorher lesen sollen, um darauf zu achten. Ein anderes Akkordeonstück, das Servais alleine spielte, erinnerte mich an Johannes Mayrs CD „blue bellow“. Das war schon nach der Pause, nachdem der erste Teil mit einer Melodie aufhörte, die ich vom Rudolstadt her kannte, nämlich dem afghanischen Teil des Projekts Karawane.

Im zweiten Teil des Konzertes muss man das Trommelduell zwischen Jatinder Thakur einer- und Agus Supriawan und Wahyu Rochewandy andererseits besonders erwähnen. Es erinnerte mich etwas an das Tanzduell zwischen der irischstämmigen und der afrikanischstämmigen Gang in Riverdance. Sie trommelten sich gegenseitig was vor, machten dabei Grimassen, sangen den Trommelrythmus in der jeweils traditionellen Trommelsprache, und sie kamen zusammen. Schade nur, dass Jatinders Tablas, die von links her hätten ertönen müssen, durch die Lautsprecher auch von rechts her kamen. Das minimierte den Duellcharakter etwas.

Alle Einzelheiten kann ich nicht erwähnen, aber ich muss generell wieder sagen: Das war Weltmusik vom Allerfeinsten! Jeder Musikstil erfuhr in seiner eigenen traditionellen Einbindung, so gut das auf einer deutschen Bühne irgend geht, die ihm gebührende Würdigung. Sicher musste mal gekürzt, mal verlängert werden, um es für unsere Ohren genießbar zu machen, aber das wurde dann auch gesagt. Es wurde kein World Music-Einheitsbrei erzeugt, aber es kam zu Fusionen, die die bei allen Unterschieden doch vorhandene Ähnlichkeit und Kompatibilität der Musikstile zeigte und die vor allem zeigte, dass wir alle Menschen sind, bei allen Unterschieden in Hautfarbe, Körperbau, Sprache und Musik. Lisa übrigens wirkte auf eine Weise am exotischsten von allen: Sie war die einzige Frau auf der Bühne, auch wenn alle im Festival-Ensemble zusammen spielten. Und während alle Männer, so sie nicht ein Instrument spielten, bei einem abschließenden Tanz wie tapsige Teddybären herumhüpften, tanzte sie in einer graziösen Körperhaltung, die ein Augenweide war. Ich hätte sie auch gerne noch ein wenig mehr auf ihrer Geige gehört!

Abschließend ist noch zu sagen, dass es anlässlich des Jubiläums ein Paket aus sechs CDs mit Musik aus den 20 Jahren gibt, dabei ein 120 Seiten starkes Büchlein, das alles für 69.- Euro. Da ich es nicht wagte, nach einem Rezensionsexemplar zu fragen und zur Zeit ohne Einkommen bin, kann ich keine Rezi liefern, und kann nur dazu ermuntern, sich das Ding auf gut Glück anzuschaffen, wer mag. Und ach ja, eine CD der Karawane wird es voraussichtlich nicht geben. Schade!


Mehr Infos unter:
http://www.musiccontact.com/display_artist.php?artist=KLA6
http://www.klangwelten.com/
http://www.klangwelten.com/records/details/KW20029/KW20029_d.html
http://www.folker.de/200406/07opper.htm
http://www.kultur-i-d-landschaft.de/World_Music___Jazz/KaroVan_-_Lisa_Kanchukh___frie/karovan_-_lisa_kanchukh___frie.html
http://www.klangwelten.com/festival/2005/2005_jatinder.html
http://www.kah.bonn.de
http://folktreff-bonn-rhein-sieg.blogspot.com/2006_11_01_folktreff-bonn-rhein-sieg_archive.html

Frühere Rezis von mir zu Rüdiger Oppermann und/oder Klangwelten:
Klangwelten-Festival am 8.11.2005 in der Kunst- und Ausstellungshalle in Bonn
http://folktreff-bonn-rhein-sieg-rezensionen.blogspot.com/2005/11/konzertrezension-klangwelten-festival.html bzw. http://tinyurl.com/c6xf6
16. Tanz & Folk Fest Rudolstadt vom 7. bis 9.7.2006 – Eindrücke
http://folktreff-bonn-rhein-sieg-rezensionen.blogspot.com/2006/07/festivalbericht-16-tanz-folk-fest.html bzw. http://tinyurl.com/lyqj8

und zu der erwähnten CD „blue bellow“
Johannes Mayr. blue bellow
http://folktreff-bonn-rhein-sieg-rezensionen.blogspot.com/2004/05/cd-rezension-johannes-mayr-blue-bellow.html bzw. http://tinyurl.com/apuy5
und
http://www.folkig.de/reviews/johannesmayr.php3
und
In: Folker! 06.04, S. 80.
online: http://www.folker.de/200406/rezi-d.htm#06

MAS