Sunday, March 18, 2007

Konzertrezensionen: Dikanda am 18.3.2007 in der Brotfabrik in Bonn-Beuel

Dikanda am 18.3.2007 in der Brotfabrik in Bonn-Beuel

Die Musik unserer östlichen Nachbarländer ist zumindest mir weitaus weniger bekannt, als die unserer Westlichen und besteht aus einer Menge böhmischer Dörfer, oder polnischer, wie in diesem Fall. Ich glaube sogar, dass dies erst das dritte Konzert einer polnischen Band ist, das ich je besucht habe. 2001 hörte ich mal was in Rudolstadt, das mir nicht so gefiel, aber 2003 hörte ich auf der Waldeck das Orkiestra św. Mikołaja, und da ich von diesem sehr begeistert war und über Dikanda so Renomierliches im Folker! las, lenkte ich meine Schritte voller positiver Voreingenommenheit gen Brotfabrik, und sollte auch nicht enttäuscht werden.

Nun wird die Musik von Dikanda nicht als polnische Volks- oder Folkmusik, sondern als Weltmusik aus Polen angekündigt. Aber das alles kann man auch woanders nachlesen. An diesem Abend jedenfalls erfreute meine Augen zunächst der Anblick zweier Musikerinnen und dreier Musiker unter dem Banner ihrer neuen CD mit einer Art Sonne darauf. Aus Zuschauerperspektive links saß vorne Ania Witczak in einem weiten, mit Sternen geschmückten Rock und einem riesigen Akkordeon in den Armen auf einem Hocker, und rechts vorne stand Kasia Dziubak mit einer Geige. Dahinter dann von rechts nach links saßen oder standen Piotr Rejdag mit einer Gitarre, Daniel Kaczmarczyk hinter einigen Trommeln und Grzegorz Kolbrecki an einem Kontrabass. Sie fingen langsam an, mit einem getragenen Lied auf welcher Sprache auch immer, polnisch, makedonisch oder etwa auf dikandisch, der Phantasiesprache, auf die ich so neugierig war. Manche Musiker machen so etwas ja, sie erfinden einfach eine Sprache ohne Sinninhalt, die sich aber gut anhört. Ja, das tat sie auch, vor allem weil die beiden Damen wunderbare Stimmen haben. Es ging bald sehr rhythmisch weiter, Daniel bediente die Trommeln und anderes Schlagwerk, sowie eine Langhalslaute, Piotr spielte die Gitarre oft flamencostilisch, der Kontrabass gab dem zusätzlichen Groove, und vorne waren die beiden Frauenstimmen, vor allem Anias, aber auch mal beide, was sich so ähnlich wie die mystischen Stimmen aus Bulgarien anhörte, und dann das Akkordeon und die Geige. Whow, was waren das für Töne und Rythmen!

Ania machte immer schöne Ansagen auf Deutsch mit niedlichem polnischem Akzent und lustigen Versprechern (sie sang zum Beispiel mal von einem Mann, der leider nicht zurück kehrte und meinte in der Ansage, er komme hoffentlich nicht wieder). Ah, gibt es da doch einen Sinn in den Texen? Klar doch, denn es waren auch polnische Texte dabei und makadonische und was weiß ich noch. Dieser Sprachen unkundig könnte aber auch alles Dikandisch gewesen sein, und der vermeintliche Textinhalt nur in den Ansagen vorhanden. Doch da war auch ein Lied auf Jiddisch über einen tanzenden Rebbe, das verstand ich.

Und dann wieder die Musik. Was da polnische Wurzeln hatte, was ukrainische, was makedonische, was bulgarische, fragt mich nicht. Aber vieles hörte sich auch maurisch-spanisch an, manches indisch, ein Tanz schwarzafrikanisch, den die Damen auch mit weit ausladender Gestik vorführten. Mich rührte diese Mischung traditioneller Melodien oder zumindest Melodieteile und (post)moderner Arrangements einfach an und riss mich mit. Meine Sitznachbarin zur Rechten störte sich anfangs daran, dass ich nicht still saß, aber bald sah sie wohl ein, dass sie nicht den ganzen Saal zur Ruhe zwingen konnte, einschließlich ihres Begleiters, der auch wippte und mit den Händen trommelte, wie es Anias Aufforderung zur Revolution im Saal ja auch gemeint hat. Elektronik wurde auch verwendet, aber die Loops, die Echos und der Hall verstärkten nur die akustischen Instrumente und überlagerten sie nicht.
Zwischendurch wurden auch wir Zuhörer zum Mitsingen aufgefordert, wobei sich das Polnische als schwieriger erwies als das Dikandische. Ganz am Schluss war es besonders schön: Ania forderte uns auf, immer wieder „anijassa ma didi“ zu singen und während wir das taten, verließ sie sie langsam die Bühne, nicht ohne uns sich selbst umdrehend immer wieder aufzufordern, nicht aufzuhören.



mehr Infos:
http://www.dikanda.com/
http://www.dikanda.prv.pl/
http://www.kultur-i-d-landschaft.de/worldmusic/DIKANDA/dikanda.html
http://www.folkmusic.ch/publish/dikanda_pl.asp
http://www.brotfabrik-bonn.de/


Artikel von Luigi Lauer:
http://www.folker.de/200701/03dikanda.htm
CD-Rezi von Jürgen Brehme:
http://www.folker.de/200501/bescd.htm#03

MAS